Schwarzarbeit in der DDR

Pfuschen in der DDR – Alltag zwischen Bedarf und Mangelwirtschaft

In der DDR nannte man es schlicht „Pfuschen gehen“. Der Meister tat es, der Lehrling tat es – Schwarzarbeit war für viele Bürger ein normaler Bestandteil des Alltags. Die sozialistische Planwirtschaft konnte den realen Bedarf oft nicht decken. In volkseigenen Betrieben wurde daher regelmäßig „in die eigene Tasche“ gearbeitet, ohne dass ernsthafte Konsequenzen zu befürchten waren.

Schwarzarbeit damals und heute

Während Schwarzarbeit heute als Schaden für Wirtschaft und Staat gilt – sie entzieht Firmen Aufträge und verringert Steuereinnahmen –, erfüllte sie in der DDR eine ganz andere Funktion. Dort half sie, die Versorgungslücken zu schließen. Viel zu wenige Betriebe verfügten über genügend Material oder Personal, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken.

Ein Beispiel: Ein angehender Hausbauer kam oft nur über Beziehungen an Baustoffe. Von der PGH, der Produktionsgenossenschaft des Handwerks, war zeitnah kein Maurer zu erwarten. Abhilfe schaffte der Bekannte, der nach Feierabend zum Pfuschen kam. Gleiches galt für Elektriker, Maler oder Zimmerer.

Schwarzarbeit im Betrieb – der „zweite Arbeitsmarkt“

Weit verbreitet war auch Schwarzarbeit direkt am Arbeitsplatz. In KFZ-Werkstätten wurden Fahrzeuge von Freunden auf Staatskosten repariert. Im VEB Kirow fertigten Schweißer in der Nachtschicht privat Garagentore oder andere Mangelwaren. Die Meister sahen weg, denn sie profitierten selbst gelegentlich. Theoretisch konnte man „Missstände“ melden – doch solange alles im kleinen Rahmen blieb, unternahm die Betriebsleitung wenig. Erst wenn gleich eine ganze Brigade samt LKW und Material privat auf einer Baustelle auftauchte, wurde es heikel.

In der Leipziger Volkszeitung vom 22. September 1989 fanden sich sogar Anzeigen wie:

  • „Erfahrene Baubrigade, vielseitig, übernimmt ganzjährig mit ihrem Material Feierabendaufträge …“
  • „Klempner – Ihr Fahrzeug mit Ihrem Material …“

Diese Anzeigen zeigen, wie offen und selbstverständlich Schwarzarbeit in der DDR praktiziert wurde.

Private Produktion im Betrieb

Viele Betriebe hatten ausreichend Maschinen und Personal, aber chronische Materialengpässe verhinderten eine volle Auslastung. Für die Belegschaft war das kein Hindernis: Man brachte sich das fehlende Holz von zu Hause mit und fertigte beispielsweise eine Wendeltreppe für das eigene Haus. Der Staat zahlte den Lohn ohnehin – ob man drei Stunden am Tag nichts tat oder in dieser Zeit Privataufträge erledigte, machte keinen Unterschied.

„Kinder-Schwarzarbeit“ – ein eigenes Phänomen

Besonders kurios war die inoffizielle Kinderarbeit. Offiziell verboten, aber praktisch toleriert, solange die Tätigkeit freiwillig und „leicht“ war. In der Erntesaison halfen Kinder gerne mit – aus Spaß und wegen des kleinen Verdienstes. Ich selbst fuhr als Kind mit meinen Eltern zur Erdbeerernte: Erdbeeren essen, Körbe füllen und am Ende Bargeld bekommen. Kein Arbeitsvertrag, keine Steuern.

Auch ganze Schulklassen gingen gemeinsam zur Ernte – der Erlös wanderte in die Klassenkasse.

Arbeit in der Schule: Schulgarten und Werkunterricht

Im Unterricht gehörte praktische Arbeit fest zum Lehrplan. Im Schulgartenunterricht pflanzten, pflegten und ernteten wir Gemüse und Obst. Die Ernte wurde anschließend verkauft und das Geld kam der Klasse zugute.

Im Werkunterricht bauten wir in der Vorweihnachtszeit Adventsgestecke, die wir an der Straßenbahnhaltestelle oder vor dem Konsum verkauften.

Sammeln für die SERO-Stellen

Für Kinder der 1. Klasse geeignet war das Sammeln von Altpapier und Altglas. Der Klassiker:
„Guten Tag, haben Sie Altpapier, Flaschen oder Gläser?“

Vor allem ältere Menschen gaben den sortierten Müll gern an Kinder ab. Die Abgabe erfolgte bei den SERO-Annahmestellen (VEB Sekundär-Rohstofferfassung). Typische Vergütungen waren:

  • 0,30 Mark pro Kilogramm Zeitung
  • 0,05 Mark pro Glas
  • 1,00 Mark pro Kilogramm Plastikabfälle

Auch Textilien, Metalle und andere Rohstoffe wurden angekauft.

Ferienarbeit für Jugendliche

Jugendliche durften in den Schulferien zwei Wochen in Betrieben arbeiten. Die Bedingungen: keine Schichten, keine schweren Arbeiten. Die Ferienjobs waren beliebt, denn man verdiente eigenes Geld. An Steuerabzüge kann ich mich nicht erinnern.

Arbeit als Selbstverständlichkeit

Kinder und Jugendliche wurden nicht ausgebeutet, sondern motiviert und belohnt. Arbeiten galt als etwas Positives – eine Haltung, die viele Erwachsene in der DDR teilten. Niemand sah sich als illegalen Schwarzarbeiter, sondern als nützliches, gut entlohntes Mitglied einer „Privatwirtschaft im Kleinen“.

Warum der Staat Schwarzarbeit duldete

Die DDR war – überspitzt gesagt – ein Paradies für das, was wir heute Schwarzarbeit nennen würden. Ein Grund: Der Staat lebte nicht primär von Steuern, sondern von zentralen wirtschaftlichen Strukturen. Entgangene Steuereinnahmen waren also kein großes Problem. Ein hartes Durchgreifen hätte im Gegenteil der gesamten Volkswirtschaft geschadet. Deshalb duldete der Staat die Feierabendtätigkeit nicht nur, er reglementierte und förderte sie teilweise sogar. Es gab offizielle Richtlinien zur „Feierabendtätigkeit“.

Zwar existierte in der DDR der Straftatbestand der Steuerhinterziehung – doch wo kein Kläger, da kein Angeklagter.

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