Ulbricht und Honecker – zwei Systeme in einem Staat
Die meisten heute lebenden DDR-Bürger wuchsen in der Honecker-Ära auf. Viele kennen daher das politische und wirtschaftliche Klima der früheren Ulbricht-Ära nur aus Erzählungen. Doch die beiden Phasen der DDR-Geschichte unterschieden sich teils erheblich. Welche Unterschiede bestanden – und wo lagen möglicherweise sogar Vorteile der Honecker-Zeit?
Eine Schwarz-Weiß-Betrachtung ist für die Geschichte der DDR ungeeignet. Die DDR war nie ein statisches System. Ideologische Linien wechselten, politische Ziele verschoben sich. Zwar verlief Ulbrichts Sturz nicht blutig wie in klassischen Machtkämpfen des alten Roms, doch Intrigen und Rollen der Beteiligten erinnern durchaus an antike Vorgänge.
Ulbricht stand für strikte Diktatur, für die Verfolgung Andersdenkender und für den Bau der Berliner Mauer. Gleichzeitig trieb er die Gleichstellung der Frau voran, forcierte technische Modernisierung und machte die DDR innerhalb des Ostblocks zu einem der fortschrittlichsten Staaten. Seine Reformansätze lösten ein kleines wirtschaftliches Aufschwungphänomen aus – eine Art „Mini-Wirtschaftswunder“ im sozialistischen Rahmen.
Honeckers Kurswechsel: „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“
Mit Honecker begann eine neue Phase. Während Ulbricht die Wirtschaftsorganisation reformieren wollte, setzte Honecker die unter ihm entwickelten Ansätze weitgehend wieder außer Kraft. Er machte die „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ zur zentralen politischen Leitlinie und führte eine letzte große Enteignungswelle durch.
Doch was bedeutete diese „Einheit“?
Honeckers Idee war es, Wirtschaft und soziale Versorgung untrennbar zu verbinden. Die Wirtschaft sollte den stetig steigenden Lebensstandard sichern. Zugleich sollte die soziale Politik Stabilität, Ruhe im Land und Zufriedenheit garantieren.
Unzufriedenheit trotz Grundsicherung
Die Grundbedürfnisse der Bevölkerung waren in der DDR zweifellos abgesichert:
Niemand hungerte, niemand fror, schwere Krankheiten wurden behandelt. Doch durch den Empfang von Westfernsehen entstand ein ständiger Vergleich – und damit auch Unzufriedenheit.
Kinder im Westen bekamen Überraschungseier und Haribo, Hausfrauen sahen in der Werbung „porentief reine Wäsche“ durch Ariel, und Männer träumten von modernen Autos.
Die Werbung wurde zum Schaufenster in eine scheinbar bessere Konsumwelt.
Diese Fragen hörte man immer häufiger:
- „Warum hat der Arbeiter im Westen Farbfernsehen und ich nicht?“
- „Weshalb bekommt mein Kind nur Gummibärchen, obwohl es im Westen Haribo gibt?“
- „Wieso darf ich kein Ariel kaufen – muss ich mich mit Spee zufriedengeben?“
Die ARD-Werbepausen wurden wichtiger als die Filme selbst: Dort zeigte sich eine Welt des Wohlstandes, des Überflusses, des „modernen Lebens“.
Der Maßstab war nicht mehr die DDR – er war der Westen.
Honeckers Versuch, Konsum und Sozialstaat zu verbinden
Honecker verstand sehr gut, dass das neue Problem nicht Mangel an Grundversorgung war, sondern Konsumsehnsucht. Seine Antwort darauf: Er wollte den Lebensstandard erhöhen und die Kaufkraft der Bevölkerung stärken. Die DDR sollte sozial gerecht bleiben – aber zugleich ein Stück westlichen Lebensgefühls ermöglichen.
Ein entscheidender Schritt war 1974 die Legalisierung des Besitzes von Valuta (D-Mark, Dollar, Pfund u. a.). Damit konnten DDR-Bürger im Intershop, der Verkaufsstelle für westliche Waren, einkaufen. Die Produkte waren hochwertig, aber nur gegen harte Währung oder später gegen Forumschecks erhältlich.
In den 1980er Jahren existierten rund 380 Intershop-Filialen, deren Umsätze in die Milliarden gingen. Westgeld bekamen DDR-Bürger durch Verwandte im Westen oder auf dem Schwarzmarkt.
Für viele Menschen bedeutete der Intershop erstmals ein Gefühl von Luxus: etwas besitzen zu können, das „aus dem Westen“ stammte.
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